Bescheuert

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Ich muss mal für die Nachwelt an dieser Stelle festhalten, welch rückständige Verhaltensweisen derzeit in Deutschland an den Tag gelegt werden, wenn es um die Emissionen von Autos mit Verbrennungsmotor geht. Ich vermute, dass man sich in ein paar Jahren diesbezüglich an den Kopf greifen wird, aber vielleicht ist es für künftige Generationen interessant zu wissen, wann sich die deutsche Politik bzw. Industrie bzw. Gesellschaft selbst von einer zukunftsfähigen Entwicklung abgehängt hat.

Der Kontext: Im Jahr 2013 wurde bekannt, dass Autohersteller insbesondere bei Dieselmotoren die Einrichtungen zur Entfernung von Stickoxiden manipuliert bzw. abschaltbar gestaltet haben, der sogenannte „Dieselskandal„. In dessen Folge kam es zu meist halbherzigen Lösungsansätzen und vereinzelten juristischen Konsequenzen, wobei ohne Frage die bedeutsame deutsche Automobilindustrie politisch protegiert wurde. Zwar wurde 2018 die Möglichkeit der Musterfeststellungsklage geschaffen, mit der Verbraucher in einfacher Weise zivilrechtliche Ansprüche gegenüber den betrügerischen Autokonzernen geltend machen können, jedoch musste der Vollzug bestehender Immissionsschutzregeln verwaltungsrechtlich erst durch Klagen von Verbraucherschutzverbänden erzwungen werden, z.B. in Form von Fahrverboten für bestimmte Schadstoffklassen in Innenstädten.

Neben Stickoxiden ist auch noch der von Motoren emittierte Feinstaub und natürlich das zur Klimaerwärmung beitragende Kohlendioxid Teil der Debatte. Die Weltgemeinschaft hat sich auf der UN-Klimakonferenz von Paris 2015 die Reduktion der Kohlendioxid-Emissionen zum Ziel gesetzt. Wohl wissend, dass der Verkehrssektor nur zu einem Teil dieser Schadstoffemissionen beiträgt (viel Feinstaub durch natürliche Quellen und Holzfeuerungen, viel CO2 durch Wärmeerzeugung und Industrieproduktion), so wäre es doch eine Frage der ökologischen wie ökonomischen Vernunft auch Mobilitätskonzepte maßgeblich in die gemeinsamen Bestrebungen mit einzubeziehen, oder?

Naja und nun kommen hier in letzter Zeit Statements rein bzw. es passieren Dinge, die mich irgendwo zwischen Sorge und Ärger zurücklassen und mich an der Zurechnungsfähigkeit der beteiligten Personen sowie an der vermeintlichen Technologieführerschaft Deutschlands zweifeln lassen. Eine völlig subjektive und vermutlich nicht vollständige Auflistung:

  • Einzelne Autohersteller bieten als freiwillige Maßnahme Umtauschprämien für den Erwerb von neuen Fahrzeugen mit verbesserten Motoren an. So weit, so gut, würde ich als Hersteller auch machen. Dass jedoch das Kraftfahrbundesamt an betroffene Autobesitzer entsprechende Hinweisbriefe mit den Kontaktdaten der Vertriebsstellen ausgewählter, ausschließlich deutscher Unternehmen verschickt, ist staatlich organisierte Werbung und ein starkes Stück!
  • Die großen deutschen Autohersteller scheinen es nicht hinzubekommen, zukunftsfähige Autos, z.B. mit Elektro– oder Hybridantrieb nicht nur als vereinzelte, teure Leuchtturmprojekte, sondern großflächig an den Markt zu bringen. Mir persönlich ist eigentlich nur der BMW i3 öfters mal aufgefallen, manchmal ein Mercedes mit nem E auf dem Nummernschild, aber praktisch kein E-Golf. Deutlich weiter und präsenter sind z.B. Toyota, Renault, Nissan &Tesla (siehe auch die Positivliste des VCD für etwas mehr Objektivität). Und in Norwegen und China scheint es ja ziemlich abzugehen… Positiv erwähnen sollte ich jedoch den Streetscooter, der durch effiziente Produktionsmethoden wohl vergleichsweise preiswert und durch die Post inzwischen in den Städten gut vertreten ist. Man hinkt also eher der Entwicklung der Elektromobilität hinterher.
  • Die Deutschen Umwelthilfe ist der Verein, der derzeit maßgeblich vor Gerichten gegen Kommunen Maßnahmen wie Fahrverbote erstreitet. Weil das manchen Leuten stinkt, haben sie eine Petition gestartet, die das zuständige Finanzamt auffordert, dem Verein den Status der Gemeinnützigkeit zu entziehen. Und selbstverständlich springen die konservativen und wirtschaftsfreundlichen Parteien auf diesen Zug.
  • Man macht sich oft über die kuriose und emotional geprägte Verhältnis von US-Bürgern zu ihren Schusswaffen lustig, analog dazu wird in Deutschland die unbegrenzte Geschwindigkeit auf Autobahnen verteidigt. Deutschland ist das einzige europäische Land ohne eine allgemeine zulässige Höchstgeschwindigkeit auf Autobahnen. Nun hat jüngst eine ExpertInnen-Kommission der Bundesregierung angedeutet, dass ein Tempolimit zur Erreichung der Klimaschutzziele beitragen kann. Prompt sprach der Verkehrsminister Andreas „Doktor“ Scheuer (CSU) der Kommission den „Menschenverstand“ ab und lies die Beratungen aussetzen.
  • Eine Gruppe von LungenärztInnen bestritt die wissenschaftliche Kausalität von Stickoxid-Immissionen und Lungenerkrankungen und kritisierte den aktuell gültigen WHO-Grenzwert von 40 µg/m3 im Jahresmittel. Selbstverständlich springen die üblichen Verdächtigen bei und stellen den bisherigen wissenschaftlichen Konsens in Frage.
  • Wenn ich das in zehn Jahren wieder lese: der Sprit kostet gerade 1,20-1,30 € für Diesel und 1,30 -1,40€ für Benzin. Die Bahn zahlt übrigens weiterhin Ökosteuer, der Flugverkehr ist davon befreit.
  • Selbst die Bullen sind nun auf unserer Seite 😉

Elektroautofoto: Camille Jenatzy auf „La Jamain Contente“(1899) [pd]